„So lange uns die Menschlichkeit miteinander verbindet, ist egal, was uns trennt.“

Bereits im September wurde unser Antrag, sich als Neuwieder Kreistag dem bundesweiten Bündnis „Seebrücke – Sicherer Hafen“ anzuschließen, abgelehnt. Ralf Grün von der Rhein-Zeitung bezeichnete das damalige Verhalten von CDU, SPD, FDP & Co. nur allzu treffend als ein „Armutszeugnis“. Die Argumente, warum man diesen Akt der Menschlichkeit ablehne, seien lächerlich.

Hier nochmal meine Rede zum Antrag im Kreistag:

„Hinter uns mein Land,
Alles, was ich bin, wurde dort geboren.

Der heiße Tee auf dem Blechtablett, faltige Geschichtenerzähler, Quatsch machen auf dem Weg von der Schule nach Hause.

Das Singen meiner Schwester am Morgen, meine Mutter.
All das war mir Heimat.

Aber ich konnte nicht mehr bleiben, hinter uns der Krieg.
Das frische Grab meiner Eltern.

Frisch ist meine Trauer…… und nichts ist verarbeitet.

Wir konnten nicht mehr bleiben, keinen weiteren Tag.
Der nächste Schritt war der letzte Schritt in meinem Land.

Und der schlimmste Schritt ist der auf dieses rostige Boot.
Ein Boot, das wanken wird und dann wird es sinken, uns in der dunklen Nacht dem Meer übergeben.

Ein Mann schwimmt auf mich zu: „Hier nimm du – ich schaffe es nicht mehr“.

„Ein Jahr ist er alt und Bersem sein Name.“
Der Vater gleitet ins Dunkle.
So wurde ich das erste Mal Vater.

Im Exil angekommen, heißen mich nur manche willkommen.
Manchmal spürt man die Liebe, manchmal spürt man den Hass.
Dir schauen sie aufs Kopftuch, und mir in den Pass.
Aber sei ihnen nicht böse, denn sie vergaßen die Liebe.“

-Ahmed Yussuf, Vater von Bersem, Flüchtling aus Syrien.-

Sehr geehrte Damen und Herren,

Menschen fliehen aus den Krisenregionen der Welt.
Niemand flieht freiwillig: Kriege, Verfolgung, Gewalt und auch die Klimakrise führen dazu, dass Menschen ihr Zuhause verlassen müssen.

Auf der Suche nach einem sicheren Hafen begeben sie sich auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Doch anstatt die Menschen auf der Flucht zu schützen, schottet sich die EU ab.
Bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, sind seit 2014 mindestens 20.000 Menschen gestorben. Alleine 2019 sind mehr als 1.885 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Dabei dürfte die Dunkelziffer noch viel höher liegen.

Die Rettung von Menschen, die in Seenot geraten sind, stellt unabhängig von den Ursachen der Notlage sowohl eine rechtliche als auch eine moralische Verpflichtung dar.
Wenn sich diese Rettung mit der Migration verbindet, ist dies vorrangig eine staatliche Aufgabe und Verpflichtung.

Doch die Verpflichtung zur Seenotrettung wird durch Frontex nicht im erforderlichen Umfang wahrgenommen.
Dieser Verpflichtung kommen dagegen private Seenotrettungsorganisationen nach – wenn man sie denn lässt.
Wie weit sind wir gekommen, dass Ehrenamtliche und NGOs die Aufgaben von Staaten übernehmen, weil Europa bei dieser Aufgabe versagt?

Dann beginnt die Suche nach einem aufnehmenden Hafen.
Die Retter werden kriminalisiert, Rettungsschiffe festgesetzt.
Die verdienstvolle Arbeit privater Rettungsorganisationen im Mittelmeer ist dadurch fast vollständig zum Erliegen gekommen.

Machen wir uns nichts vor: Dieser Zustand ist von manchen gewollt und das gilt ebenso für die katastrophalen Zustände in den Aufnahmelagern. Europa setzt auf Abschreckung. Es soll sich bloß nicht herumsprechen, dass man als Geflüchteter auf europäischem Boden heutzutage noch irgendetwas Gutes zu erwarten hätte.

Abschreckung gegenüber Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten. Ein Mittel mit fragwürdiger Wirkung, das an Europas Werten zweifeln lässt.

Besteht Humanität nicht darin, niemals einen Menschen einem Zweck zu opfern? Wo bleibt diese Humanität?

Wie erschütternd muss es sein, Geretteten zu erklären, dass ihre Rettung aus größter Not gegen Gesetze verstoßen haben soll?
Dass ihre Rettung wohl nicht erwünscht ist.

Oder dass sie nach Libyen in die dortigen Haft- und Folterlager zurückkehren sollen.

Die Aufnahme der geretteten Menschen und die Durchführung eines Asylverfahrens darf nicht die alleinige Aufgabe weniger europäischer Mittelmeerstaaten sein.

Europa trägt Verantwortung! Wir tragen Verantwortung!

Dies setzt auch die Bereitschaft der Bundesregierung voraus, sich noch stärker für eine gemeinsame europäische Lösung einzusetzen. Wir brauchen wirksame Mechanismen, mit denen Flüchtlinge auf schnellem Weg von den griechischen Inseln in andere EU-Länder verteilt werden können.

Doch Deutschland versteckt sich weiter hinter der Untätigkeit anderer EU-Staaten. Die Ankündigung, einige wenige aufzunehmen, ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auf Lesbos sind alleine 4.000 Kinder obdachlos. Gerade weil bisher eine gemeinsame Lösung fehlt, dürfen wir weder die aufnehmenden Länder noch die Geflüchteten im Stich lassen.

Wir haben noch Platz und Möglichkeiten. Diese sollten wir anbieten.

Solange die EU ihren Verpflichtungen nicht im vollen Umfang nachkommt, ist es zudem ganz besonders wichtig, all diejenigen aktiv zu unterstützen, die sich um die Rettung von Menschenleben verdient machen.

Wir sind Teil einer Wertegemeinschaft.
Doch Werte kann man nicht lehren, es reicht auch nicht, sie niederzuschreiben. „Man muss sie vorleben“.

Der Kreis Neuwied sollte sich vor diesem Hintergrund bereit zeigen, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Er sollte sich sowohl mit den geretteten Menschen, den Rettern als auch mit anderen Staaten Europas solidarisch zeigen.

„Alles, was mir Heimat war,
der Bolzplatz, wo wir als Kinder spielten,
das Lächeln meiner ersten Liebe,
der Apfelbaum bei uns im Park.

Das quietschende Fahrrad meines Bruders und der Geruch von nassem Rasen. Meine Mutter mit ihren ständigen Geldsorgen.
All das war mir einst Heimat.

Doch ich konnte nicht mehr bleiben.
Unsere Türen zertrümmert, Schaufenster in Scherben, unsere Eltern verängstigt. Grausame Nachrichten von Freunden.

Und wenn ich im Dunkeln die Augen schließe, höre ich meiner Mutters Stimme. Doch um uns herum ist nur das Meer.

Im Exil angekommen, habe ich schnell gemerkt: Die wichtigsten Wörter sind „Aufenthaltsgenehmigung“, „Entschuldigung“ und „Danke“.

Im Exil angekommen….
doch die Heimaterde,
nimmt man an den Fußsohlen mit.
Denn ich bin von dort und ich habe Erinnerungen.

Wenn ich jetzt „Heimweh“ sage, sage ich „Traum“, denn die alte Heimat wie ich sie kannte, gibt es so nicht mehr.

Und bleiben wir hier, werden wir wie der Strand:
Nicht ganz Meer, und nicht ganz Land.
Reißt uns die Beine weg und wir gehen auf Händen.
Machen das Beste aus unseren Leben, bis unsere Leben enden.

Wer weiß, vielleicht kehre ich eines Tages heim und es wird nicht alles verwandelt sein.

Vielleicht sehe ich unseren alten Apfelbaum oder den Bolzplatz hinter rostbraunem Zaun.“

-Daniel Levi, Flüchtling, aus Deutschland geflohen. 1938-

Sehr geehrte Damen und Herren,

so lange uns die Menschlichkeit miteinander verbindet, ist egal, was uns trennt. Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen.

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